Die Tokenisierung von Immobilien ist ein sehr junger Trend, der allerdings das Potenzial hat, den Immobilienmarkt nachhaltig zu verändern. Durch die Übertragung von Immobilien oder Immobilienanteilen auf die Blockchain und deren Aufteilung in handelbare Tokens verspricht die Technologie mehr Effizienz, Liquidität und breiteren Marktzugang. Doch bislang überwiegen noch die Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung. Dieser ausführliche Artikel soll die wichtigsten Chancen und Hindernisse bei der Tokenisierung von Immobilien aufzeigen.
Hintergrund und Bedeutung der Tokenisierung
Unter Tokenisierung versteht man die digitale Abbildung von Vermögenswerten wie Immobilien auf einer Blockchain. Dabei wird der Vermögenswert in kleinste handelbare Einheiten, sogenannte Tokens, zerlegt. Jeder Token repräsentiert einen Anteil am Gesamtwert des Assets.
Bei der Tokenisierung von Immobilien gibt es zwei grundlegende Modelle:
- Die Tokenisierung von direkten Eigentumsrechten an einer Immobilie
- Die Tokenisierung von Anteilen an einem Rechtsträger (z.B. einer GmbH), der die Immobilie besitzt
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Im zweiten Modell besitzen die Inhaber der Tokens strenggenommen keine direkten Eigentumsrechte an der Immobilie selbst.
Immobilien sind sehr illiquide Vermögenswerte, der Handel mit ihnen ist umständlich und mit hohen Transaktionskosten verbunden. Große Immobilien sind für Privatanleger ohnehin schwer zugänglich. Die Tokenisierung verspricht, diese Nachteile durch die Aufteilung in kleine digitale Anteile und deren handelbare Abbildung auf der Blockchain zu überwinden. Damit könnten Immobilien liquider und für eine breitere Anlegerschicht investierbar werden.
Methodik der Untersuchung
Die in diesem Artikel präsentierten Erkenntnisse basieren auf einer Literaturrecherche aktueller wissenschaftlicher Publikationen zum Thema sowie einer qualitativen Inhaltsanalyse von Interviews mit erfahrenen Experten aus der Branche.
Ergänzend wurde eine umfassende Marktanalyse von 38 Tokenisierungsprojekten durchgeführt, um ein Bild des aktuellen Standes in den USA, dem derzeit aktivsten Markt, zu erhalten. Die Projekte wurden anhand des Entwicklungsgrades in drei Phasen unterteilt. In Summe erlaubt diese Methodentriangulation eine ganzheitliche Betrachtung von Chancen und Hindernissen bei der Tokenisierung von Immobilien.
Wichtigste Chancen der Tokenisierung von Immobilien
Die Tokenisierung von Immobilien wird mit diversen Vorteilen gegenüber traditionellen Beteiligungsmodellen beworben. Ob diese Versprechen in der Realität eingelöst werden können, ist allerdings oft noch offen.
1. Erhöhte Liquidität
Eines der Hauptargumente für die Tokenisierung ist die Schaffung von mehr Liquidität. Immobilieninvestments sind üblicherweise sehr illiquide. Durch die Aufteilung in Tokens und deren handelbare Abbildung auf Blockchains sollen Immobilienanteile aber viel leichter am Sekundärmarkt ge- und verkauft werden können.
“Die Tokens sind, zumindest technisch betrachtet, rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche handelbar.” (Experte A)
In der Theorie klingt das überzeugend. Die Praxis zeigt aber, dass es oft noch an liquiden Sekundärmärkten mangelt. Solange nicht genügend Käufer und Verkäufer zur Verfügung stehen, bringt auch die technische Handelbarkeit wenig.
2. Einfacherer Marktzugang für Kleinanleger
Ein großer Vorteil der Tokenisierung liegt in der Aufteilung von Immobilien in sehr kleine Einheiten. Schon mit wenigen hundert Euro kann man sich beteiligen. Dieser niedrige Einstiegsbetrag öffnet den Immobilienmarkt für völlig neue Anlegergruppen, die sich sonst eine Beteiligung niemals leisten hätten können.
“Man ermöglicht damit breiten Teilen der Bevölkerung Zugang zu diesem Investmentbereich.” (Experte B).
Privatanleger müssen nicht mehr aufwändig Kredite aufnehmen oder jahrelang Kapital ansammeln, um in Immobilien zu investieren. Die Demokratisierung des Zugangs ist einer der größten Vorteile der Tokenisierung.
3. Automatisierung & Kosteneffizienz
Blockchain-basierte Tokenisierung verspricht auch Kostenvorteile. Smart Contracts automatisieren manuelle Prozesse, Intermediäre werden durch die Digitalisierung teils überflüssig.
“Die direkte Integration in ein Blockchain-Netzwerk führt zu Kostenvorteilen, da keine Mittelsmänner mehr benötigt werden.” (Experte A)
In der Realität lassen sich aber nicht alle Services ersetzen. Für komplexe Immobilientransaktionen sind weiterhin Juristen und Treuhänder erforderlich. Die anfänglichen Implementierungskosten sind noch sehr hoch. Dennoch hat die Technologie großes Einsparpotenzial.
Weitere Chancen liegen in der erleichterten Risikostreuung durch granulare Diversifikation, der Erschließung globaler Investoren durch Digitalisierung und einer höheren Vertrauenswürdigkeit des Handelsprozesses durch die Validierung auf einer Blockchain.
Größte Herausforderungen bei der Tokenisierung von Immobilien
Bei aller Euphorie gibt es aber auch noch gewichtige Hindernisse für eine breite Durchsetzung der Tokenisierung von Immobilien. Diese Hürden gilt es in den kommenden Jahren zu überwinden.
1. Mangelnde regulatorische Klarheit
Die größte Barriere ist aktuell die teils ungeklärte regulatorische Situation. Je nach Land herrscht noch viel Unsicherheit bezüglich der rechtlichen Einordnung tokenisierter Immobilienprodukte.
“Aufgrund noch lückenhafter Regelungen möchten viele institutionelle Investoren noch nicht auf diesen Zug aufspringen.” (Experte B)
Bis klare Leitlinien für Tokenisierung geschaffen sind, wird die Unsicherheit weiterhin bremsen. Dies betrifft vor allem die Tokenisierung direkter Eigentumsrechte. Anteil Tokenisierungen sind regulatorisch einfacher.
2. Fehlende Infrastruktur & Standardisierung
Eng verknüpft ist die mangelnde technische und organisatorische Infrastruktur. Es existiert (noch) kein Plug-and-Play-Ökosystem für die Tokenisierung, sondern ein Flickenteppich aus Start-up Lösungen mit mangelnder Interoperabilität. Es fehlen gemeinsame Standards und offene Schnittstellen.
3. Geringe Verbreitung & mangelnde Akzeptanz
Viele konservative Immobilieninvestoren müssen noch von der Sicherheit und dem Mehrwert der Tokenisierung überzeugt werden. Auch auf Verbraucherseite mangelt es häufig noch an Vertrauen und Verständnis für die relativ komplexe Materie.
“Die Technologie ist noch nicht massentauglich. Der Einstieg ist für Laien zu komplex.” (Experte B)
Es bedarf noch viel Aufklärungsarbeit und benutzerfreundlicherer Implementierungen, bevor ein Mainstream-Durchbruch gelingen kann.
4. Klaffende Lücke zwischen Technik und Assets
Aktuell tokenisieren vor allem kleinere Unternehmen ohne Zugang zu institutioneller Immobilienfinanzierung. Die professionellen Asset Manager und Fondsgesellschaften mit den großen Portfolios halten sich noch zurück.
“Die Leute, die Zugang zur Technologie haben, haben keine Zugang zu den Assets. Umgekehrt genauso.” (Experte A)
Hier die Lücke zwischen Technologie und Vermögenswerten zu schließen, ist essenziell. Nur wenn institutionelle Player an Bord kommen, lässt sich das volle Potenzial ausschöpfen.
Fazit
Die Tokenisierung ist eine extrem spannende Innovation für den Immobiliensektor mit riesigem Potenzial. Allerdings gibt es auf dem Weg zur praktischen Umsetzbarkeit noch einige Hindernisse zu überwinden. Vor allem regulatorische Klarheit, technische Reife und institutionelle Akzeptanz müssen verbessert werden. Gelingt dies, könnte die Tokenisierung tatsächlich fundamentale Veränderungen anstoßen. Sie könnte Transaktionen beschleunigen, Kosten senken, die Liquidität erhöhen und völlig neuen Anlegergruppen den Zugang ermöglichen. Kurzum: Die Tokenisierung verspricht nichts weniger als eine Revolution für den Immobilienmarkt.
Literatur:Â