Unter Re-Enactment versteht man die Neuinterpretation oder Nachinszenierung vergangener Ereignisse oder Handlungen durch eine künstlerische Umsetzung. Im Folgenden werden die diskutierten Werke zusammengefasst und das Paper kritisch reflektiert.
Walter Benjamins Video "Piet Mondrian '63-'96"
Walter Benjamins Video “Piet Mondrian ’63-’96” (1987) nutzt das Konzept der Kopie, um die Themen Original und Reproduktion künstlerisch zu behandeln. In einer Montage von Bildern des niederländischen Künstlers Piet Mondrian und einem fiktiven Vortrag des Philosophen Walter Benjamin verschmelzen in diesem Werk Sensibilität und Wissenschaft miteinander. Durch die suggerierte Zeitspanne 1963-1996 wird zudem die Frage aufgeworfen, was ein Original ausmacht, wenn der Künstler schon 1944 verstorben war. Mit der Veröffentlichung unter dem Pseudonym Walter Benjamin greift das Video auch das politische Potenzial von Kunst auf, indem es dem Werk den Status eines anonymen öffentlichen Gutes verleiht.
Artur Żmijewskis Video "80064"
In Artur Żmijewskis Video “80064” (2004) inszeniert der polnische Künstler die Renovierung der KZ-Tätowierung eines Überlebenden. Mit dieser radikalen und umstrittenen künstlerischen Aktion übt Żmijewski einerseits Kritik an den ethischen Grenzen künstlerischer Praxis. Andererseits wird durch die Dokumentation dieser Performance die menschliche Unterwerfung unter und der Gehorsam gegenüber Machtverhältnissen sichtbar gemacht. Das Video konfrontiert den Betrachter mit der Grausamkeit von Ideologien und wirft kritische Fragen nach Schuld und Verantwortung auf.
Peter Watkins' Film "La Commune (Paris, 1871)
Peter Watkins’ über fünfstündiger Film “La Commune (Paris, 1871)” (2000) inszeniert Ereignisse der Pariser Kommune von 1871 in Form von Fernsehinterviews nach. Die Laiendarsteller bringen in den Interviews ihre eigene Interpretation dieser historischen Ideologien zum Ausdruck. Zudem werden sie immer wieder zu aktuellen Fragen befragt, womit eine kritische Brücke zur Gegenwart geschlagen wird. Watkins kritisiert mit dieser Mockumentary-Form auch die historische Bildung und Medien seiner Zeit. Der Film ermöglicht einen disursiven Blick auf Geschichte, der verschiedene Perspektiven sichtbar macht.
Jeremy Dellers "The Battle of Orgreave"
Jeremy Dellers Film “The Battle of Orgreave” (2001) inszeniert die Konflikte zwischen streikenden Bergarbeitern und der Polizei beim Streik von Orgreave 1984 nach. Für das Filmprojekt konnte Deller auch original Teilnehmer von damals gewinnen, die ihre Rolle tauschten. Das künstlerische Projekt zielt darauf ab, durch die Nachstellung ein neues Verständnis für dieses traumatische soziale Ereignis zu ermöglichen und die ideologischen Hintergründe kritisch zu beleuchten. Der Film schafft einen Erfahrungsraum, um die Geschichte gemeinsam zu reflektieren.
Joshua Oppenheimers "The Act of Killing"
Joshua Oppenheimers mehrfach preisgekrönter Dokumentarfilm “The Act of Killing” (2012) konfrontiert noch lebende indonesische Täter des Massenmords von 1965/66 mit ihren Verbrechen. Indem Oppenheimer sie ihre Taten nachstellen und sogar in Szene setzen lässt, offenbaren sich im Laufe des Films Ideologie und Gewissen der Mörder. Der Film zeigt eindringlich die langfristigen Auswirkungen von Staatsterrorismus und Propaganda auf die Gesellschaft Indonesiens. Die Täter werden zu Akteuren ihres eigenen Films und damit auch zu Zeugen ihrer Taten.
RAQS Media Collectives Video "Re-run"
In RAQS Media Collectives Video “Re-run” (2013) wird die Fotografie “Run on the bank” von Henri Cartier-Bresson aus dem Jahr 1948 neu interpretiert. Das historische Bild zeigt Menschenmassen während einer Bankenpanik im chinesischen Bürgerkrieg. Durch die Verwendung von Zeitlupe und Wiederholung im Video erhält dieser historische Moment eine zeitlose, prophetische Qualität. RAQS Media Collective verweist so auf die sich wiederholenden Krisen kapitalistischer Systeme.
Das kritische Potenzial des Re-Enactments
Zentrales Thema des Papers ist die Neuinterpretation und kritische Reflexion von Geschichte durch künstlerisches Handeln. Die Strategie des Re-Enactments, also der szenischen Nachstellung historischer Ereignisse, ermöglicht es, vergangene Ereignisse sinnlich und körperlich erfahrbar zu machen, die sich dem direkten Verständnis und der Vorstellungskraft entziehen.
Gleichzeitig unterliegt die künstlerische Umsetzung natürlich immer den Grenzen der jeweils gewählten künstlerischen Mittel und Medien sowie der Interpretation des Künstlers. Gerade bei der Nachstellung von gewaltvollen und traumatischen Ereignissen stellt sich auch die ethische Frage nach der Potentialen Retraumatisierung für Opfer und Nachfahren sowie einer problematischen Heroisierung der Täter.
In der Analyse argumentiert das Paper dennoch, dass Re-Enactment als künstlerische Praxis Kritik an Ideologien und Medien üben sowie zum Verständnis traumatischer Ereignisse beitragen kann. Indem eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen wird, eröffnet diese Strategie einen Denkraum, um vergangene und gegenwärtige Erfahrungen zusammen zu denken. Re-Enactment kann somit dazu anregen, geschichtliche Narrative und kollektive Erinnerungen kritisch zu hinterfragen.
Schlussbetrachtung
Abschließend lässt sich festhalten, dass das Paper überzeugend das kritische Potenzial des Re-Enactments als künstlerische Strategie aufzeigt. Anhand der analysierten Beispiele wird deutlich, dass die szenische Nachstellung von Geschichte mehr sein kann als reine Rekonstruktion. Vielmehr ermöglicht es die künstlerische Aneignung, Ereignisse aus einer reflexiven Gegenwartsperspektive zu deuten und Dominanznarrative zu hinterfragen.
Allerdings vernachlässigt das Paper auch einige Problematiken wie die ethische Verantwortung gegenüber Opfern und die Gefahr der Heroisierung. Hier wäre eine kritischere Analyse wünschenswert gewesen. Insgesamt liefert das Paper aber einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der vielschichtigen künstlerischen Strategie des Re-Enactments in Film und Kunst. Es zeigt eindrücklich das Potenzial, durch szenisches Erinnern Vergangenheit für die Gegenwart fruchtbar zu machen.
Literatur:
Wang, Yu-Ping · (2023): Masterarbeit. Re–enactment als eine Strategie in Kunst und Film.Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.