In der psychologischen Forschung finden sich verschiedene Begriffe, wenn es um Hilfeverhalten und die Bereitschaft, anderen etwas Gutes zu tun, geht. Am umfassendsten ist der Begriff des prosozialen Verhaltens. Darunter fallen alle Handlungen, die anderen einen Nutzen bringen oder ihr Wohlbefinden verbessern. Eng verwandt ist der Begriff des Hilfeverhaltens. Im Unterschied zum prosozialen Verhalten wird hier jedoch Hilfe ausgeschlossen, die aufgrund einer beruflichen Rolle erfolgt – etwa wenn Pflegekräfte sich um Patienten kümmern. Noch enger gefasst ist der Begriff des Altruismus. Als altruistisch gilt Hilfe, die ohne Erwartung einer Belohnung allein aufgrund von Mitgefühl erfolgt. In der Forschung wurde immer wieder kontrovers diskutiert, ob es einen solchen “reinen” Altruismus tatsächlich gibt oder ob nicht letztlich immer auch egoistische Motive wie das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung oder das Bestreben, eigenes Unwohlsein zu mindern, eine Rolle spielen.
Der Bystander-Effekt
Ein zentraler Befund der Forschung zum Hilfeverhalten ist das Phänomen des Bystander-Effekts. Dieser besagt, dass in Notsituationen, in denen mehrere Personen als Zuschauende anwesend sind, die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass eine einzelne Person eingreift und dem Opfer hilft. Als Erklärung wurde vorgeschlagen, dass durch die Anwesenheit vieler Personen die Verantwortung diffundiert – jede Einzelperson fühlt sich weniger verantwortlich zu helfen. Zudem orientieren sich die Zuschauenden an der Passivität der anderen und nehmen so fälschlicherweise an, es handle sich wohl doch nicht um einen echten Notfall. Schließlich hemmt auch die Angst, sich durch unangebrachtes Eingreifen vor den anderen bloßzustellen, die Hilfsbereitschaft. In einer Reihe klassischer Experimente konnte der Bystander-Effekt eindrücklich belegt werden. Er stellt einen der am besten replizierten Befunde der Sozialpsychologie dar.
Motivationen für Hilfeverhalten
Neben diesen eher situativen Einflüssen spielen aber auch motivationale Faktoren eine Rolle für Hilfeverhalten. Das Erregung: Kosten-Belohnungs-Modell von Piliavin und Kollegen betont, dass schon die Beobachtung einer Notfallsituation ein Gefühl der Erregung auslöst. Um diese unangenehme Erregung abzubauen, wird Hilfe geleistet oder auch nicht – abhängig von einer Abwägung der Kosten und des Nutzens. Neuere Ansätze weisen zudem auf die Bedeutung von Gruppenprozessen für Hilfeverhalten hin. Wenn sich die anwesenden Personen als Teil einer gemeinsamen Gruppe mit geteilter Identität sehen, können gruppenbezogene Normen die Hilfsbereitschaft deutlich erhöhen.
Fazit
Insgesamt zeigt die Forschung zum prosozialen Verhalten, dass sowohl situative Faktoren wie die Anwesenheit anderer als auch motivationale Prozesse eine Rolle für Hilfsbereitschaft spielen. Der Bystander-Effekt ist dabei ein besonders einflussreicher negativer Einflussfaktor. Grouppenbezogene Identifikation kann Hilfsbereitschaft jedoch auch positiv beeinflussen. In zukünftiger Forschung gilt es, weitere förderliche und hinderliche Faktoren für prosoziales Verhalten zu identifizieren.
Literatur:
Levine, M., Manning, R., Philpot, R. (2023). Prosoziales Verhalten. In: Ullrich, J., Stroebe, W., Hewstone, M. (eds) Sozialpsychologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65297-8_10