In dem Artikel “Krieg mit anderen Mitteln” diskutiert Gabriel Felbermayr, wie Staaten neben militärischen auch wirtschaftliche Mittel zur Durchsetzung geopolitischer Ziele einsetzen. Diese Nutzung wirtschaftspolitischer Instrumente für machtpolitische Zwecke wird als “Geoökonomik” bezeichnet. Der Artikel stellt fest, dass Geoökonomik in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus rückt, wobei dies kein neues Phänomen ist. Bereits Adam Smith warnte im 18. Jahrhundert vor exzessiver wirtschaftlicher Abhängigkeit, die ein Land erpressbar machen kann.
Auch das GATT und die WTO sehen in Artikel XXI Ausnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit vor. Solche handelspolitischen Einschränkungen sind laut Felbermayr zu rechtfertigen, wenn Unternehmen die machtpolitischen Auswirkungen ihrer Entscheidungen ignorieren. Es liegt dann eine “sicherheitspolitische Externalität” vor.
Entwicklung der Geoökonomik seit 2008
Felbermayr konstatiert, dass spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 eine “Zeitenwende” stattgefunden hat. Seither ist der Systemwettbewerb zwischen westlichen Demokratien und autoritären Staatskapitalismen zurück. Kennzeichen sind u.a.:
- Stagnation des Welthandelswachstums („Slowbalisation“)
- Zunahme protektionistischer Maßnahmen
- Anstieg aktiver Wirtschaftssanktionen zwischen Ländern auf über 600
Insofern ist laut Felbermayr die These vom “Ende der Geschichte” nach dem Systemwettbewerb widerlegt. Vielmehr ist die Geoökonomik als “Krieg mit anderen Mitteln” zurück.
Wirtschaftliche Schäden durch Protektionismus
Der Autor betont die volkswirtschaftlichen Kosten protektionistischer Maßnahmen und warnt vor “Decoupling”. Eine empirische Studie beziffert die langfristigen Wohlfahrtsverluste durch Handelsunterbrechungen auf bis zu 80% für stark integrierte Volkswirtschaften. Aber auch bei Vorprodukten läge der Schaden im Schnitt bei 50 %.
Am Beispiel der Coronakrise zeigt eine andere Studie, dass der Vorteil geringerer Verwundbarkeit das Risiko nicht aufwiegt. Ein kompletter Verzicht auf internationale Arbeitsteilung würde also enorme Wohlstandseinbußen bedeuten.
Analyse von Abhängigkeiten und Sanktionen
Anschließend untersucht Felbermayr Abhängigkeiten und Sanktionen näher:
- Faktisch sind umfassende Daten zu Lieferketten unzureichend, so dass eine objektive Identifikation “strategischer Güter” kaum möglich ist.
- Bei Analyse der EU-Zahlungsbilanzen relativiert sich die einseitige Chinafokussierung, die USA und Großbritannien sind wirtschaftlich wichtiger.
- Alle großen Partnerländer der EU fallen derzeit unter Geoökonomik, es bestehen Interessenkonflikte hinsichtlich strategischer Autonomie.
In Bezug auf Sanktionen stellt der Beitrag heraus, dass deren Wirkung weniger bei Verhängung eintritt. Entscheidend ist die glaubwürdige Androhung, um durch geändertes Nutzenkalkül einen Politikwechsel zu bewirken. Die Empirie bestätigt, dass Sanktionen oft erst nach Jahren wirken oder scheitern. Effektive Geoökonomik erfordert also umfassende Informationen über den Gegner.
Wirtschaftskrieg Russland-Westen
Am aktuellen Beispiel der Sanktionen gegen Russland veranschaulicht der Autor schließlich seine theoretischen Ausführungen:
- Trotz Androhung griff Russland an, die Drohung war also zu schwach kalibriert oder wirtschaftliche Folgen wurden unterschätzt.
- Die verhängten Sanktionen zeigen deutliche Handelseffekte, können aber durch Umlenkung (z.B. Öl nach Indien) teilweise umgangen werden.
- Modellsimulationen unterstellen bei kompletter Handelsunterbrechung massive Einkommenseinbußen Russlands (-10 %), während die Verluste für den Westen relativ gering blieben.
Schlussfolgerungen
Abschließend betont Felbermayr die Notwendigkeit geoökonomischer Strategien für Unternehmen und Staaten. Neben Diversifizierung sei der EU-Binnenmarkt die wichtigste Ressource. Je integrativer und größer dieser ist, desto wirkungsvollere Instrumente stehen für Geoökonomik zur Verfügung.
Literatur: