Musiktraining wird häufig mit einer verbesserten Sprachwahrnehmung in Verbindung gebracht. Ob Musiker wirklich besser Sprache im Rauschen verstehen als Nicht-Musiker, ist jedoch umstritten. Eine neue Studie untersuchte den Einfluss von Musiktraining, Singen, semantischem Inhalt und Amusie-Screening auf die Wiederholungsleistung bei gesprochenen und gesungenen Sätzen mit und ohne Hintergrundrauschen.
Studiendesign und Zielsetzung
Die Studie verglich 50 musikalisch trainierte Teilnehmer mit 50 Teilnehmern ohne Musiktraining. Beide Gruppen wiederholten gesprochene und gesungene Sätze mit unterschiedlichem semantischen Inhalt (erklärend, erzählend, sinnlos) in einer ruhigen Bedingung sowie mit Rauschen im Hintergrund. Zusätzlich durchliefen die Teilnehmer kognitive Tests und den Montreal Battery of Evaluation of Amusia (MBEA) zur Erfassung von Musikwahrnehmungsstörungen.
Das Ziel war, den Einfluss von Musiktraining, Singen, semantischem Inhalt und Amusie auf die Wiederholungsleistung zu untersuchen. Dabei sollte geklärt werden, ob Musiker besser in der Lage sind, Sprache im Rauschen wahrzunehmen und ob gesungene im Vergleich zu gesprochenen Sätzen besser erinnert werden.
Musiktraining ohne Berücksichtigung von Amusie
In der ersten Analyse mit allen 100 Teilnehmern zeigten die Musiker eine signifikant bessere Wiederholungsleistung als die Nicht-Musiker. Gesungene Sätze wurden generell besser wiederholt als gesprochene, insbesondere mit Rauschen im Hintergrund. Erklärende gesungene Sätze wurden besser wiederholt als erklärende gesprochene. Sinnlose Sätze wurden mit Rauschen schlechter wiederholt als erklärende.
Kein Vorteil durch Musiktraining nach Amusie-Screening
Bei der Überprüfung der MBEA-Ergebnisse stellte sich heraus, dass 13 Teilnehmer unter einer Amusie, also einer Musikwahrnehmungsstörung, litten. Nach Ausschluss dieser Teilnehmer zeigten die Musiker keine signifikant bessere Wiederholungsleistung mehr als die Nicht-Musiker.
Dies deutet darauf hin, dass die anfänglich beobachteten Gruppenunterschiede auf die unbeabsichtigte Aufnahme von amusischen Teilnehmern in die Kontrollgruppe zurückzuführen waren. Amusie kommt zwar selten vor, scheint in Studienprobanden ohne Musiktraining aber gehäuft aufzutreten. Die Ergebnisse legen daher nahe, dass ein Amusie-Screening sinnvoll ist, um aussagekräftige Gruppenvergleiche durchzuführen.
Vorteil von Singen bleibt bestehen
Der Vorteil des Singens gegenüber Sprechen bei der Wiederholungsleistung blieb auch nach Berücksichtigung der Amusie bestehen. Dies weist darauf hin, dass die melodischen und rhythmischen Zusatzinformationen beim Singen die Wahrnehmung und das Behalten der Sätze erleichtern, insbesondere mit Rauschen. Musiktraining scheint demnach keinen Vorteil für das Sprachverstehen im Rauschen zu bieten, wohl aber die besonderen akustischen Eigenschaften des Singens.
Fazit
Die Studie liefert keine Belege für eine überlegene Sprachwahrnehmung im Rauschen bei musikalisch Trainierten, sofern Amusie berücksichtigt wird. Sie verdeutlicht aber die Relevanz des semantischen Inhalts und die Vorteile des Singens für die Sprachwahrnehmung mit Rauschen. Die Ergebnisse sprechen dafür, Amusie-Screenings standardmäßig in vergleichenden Studien einzubeziehen, um aussagekräftige Gruppenvergleiche zu ermöglichen. Insgesamt erweitert die Studie das Verständnis der Faktoren, die die Sprachwahrnehmung im Rauschen beeinflussen können.
Literaturempfehlung
Die Studie liefert wichtige neue Erkenntnisse zum Einfluss von Musiktraining, Singen, Semantik und Amusie auf die Sprachwahrnehmung und bietet Impulse für zukünftige Forschung. Sie ist empfehlenswert für Wissenschaftler, die zu diesem Thema arbeiten, sowie für Audiologen und Sprachtherapeuten. Musikpädagogen können daraus ableiten, dass Singen die Sprachwahrnehmung unterstützen kann. Insgesamt ist die Studie lesenswert für jeden, der sich für die Faktoren interessiert, die das Verstehen von Sprache beeinflussen.
Literatur:
Loutrari, A., Alqadi, A., Jiang, C. et al. (2023):Â Exploring the role of singing, semantics, and amusia screening in speech-in-noise perception in musicians and non-musicians. Cogn Process. Â https://doi.org/10.1007/s10339-023-01165-x