Studienberechtigte aus weniger privilegierten Familien nehmen trotz formal gleicher Qualifikationen – der Hochschulreife – seltener ein Studium auf als ihre Pendants aus sozioökonomisch besser gestellten Familien. Diese Diskrepanz wirft Fragen hinsichtlich der Chancengleichheit im Bildungssystem auf und legt nahe, dass Faktoren jenseits der formalen Qualifikation eine Rolle spielen.
Theoretischer Rahmen: Das Modell von Boudon
Um diese Unterschiede zu verstehen, wird das Modell von Boudon herangezogen, das soziale Ungleichheiten im Bildungsbereich anhand zweier Effekttypen erklärt. Primäre Effekte umfassen Unterschiede in den schulischen Leistungen, die direkt aus dem familiären Hintergrund resultieren. Sekundäre Effekte dagegen beziehen sich auf die Entscheidungen, die unabhängig von den tatsächlichen Leistungen aufgrund des familiären Hintergrunds getroffen werden, wie etwa die Entscheidung für oder gegen ein Studium.
Empirische Analyse: Daten des DZHW-Studienberechtigtenpanels 2018
Die Analyse basiert auf Daten von über 6000 Studienberechtigten aus dem Jahr 2018. Sie offenbart, dass ein Großteil der Unterschiede in der Studienaufnahme auf sekundäre Effekte zurückzuführen ist. Studienberechtigte aus weniger privilegierten Familien neigen dazu, ihre Erfolgschancen im Studium niedriger einzuschätzen, zeigen eine höhere Sensibilität gegenüber Studienkosten und erwarten geringere finanzielle und berufliche Erträge von einem Studium.
Leistungsunterschiede und Bildungshintergrund
Etwa ein Fünftel der Unterschiede in der Studienaufnahme lässt sich auf tatsächliche Leistungsunterschiede zurückführen, die teilweise durch den Bildungshintergrund und die Qualität der besuchten Schulen beeinflusst werden. Zusätzlich spielen Unterschiede in der Schulart und der Art der Hochschulreife eine Rolle, was auf strukturelle Ungleichheiten im Bildungssystem hindeutet.
Das Modell von Boudon erweist sich als sehr effektiv in der Erklärung der sozialen Unterschiede in der Studienneigung, da es fast 97 % dieser Unterschiede erklären kann. Die Berücksichtigung der verschiedenen Faktoren zeigt, dass ohne diese Mechanismen die Diskrepanz zwischen den Studienberechtigten aus unterschiedlichen sozialen Schichten noch deutlicher wäre.
Bedeutung sekundärer Effekte
Die Studie unterstreicht die signifikante Rolle der sekundären Effekte. Um die Ungleichheiten zu verringern, wird vorgeschlagen, gezielt in die Entscheidungsfindung der Studienberechtigten einzugreifen. Informationsangebote, die spezifisch auf Studienkosten, Fördermöglichkeiten und erwartete Erträge eingehen, könnten helfen, die bestehenden Informationslücken zu schließen.
Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Faktoren, die zu sozialen Disparitäten in der Studienaufnahme beitragen, wird deutlich, dass es eines vielfältigen Maßnahmenpakets bedarf, um diese Ungleichheiten effektiv anzugehen. Die identifizierten Mechanismen bieten Ansatzpunkte für politische Interventionen, die darauf abzielen, die sozialen Ungleichheiten im Bildungszugang zu verringern.
Literatur:
Quast, H., Mentges, H., Buchholz, S. (2023). Atypische Bildungsverläufe: Warum studieren Studienberechtigte aus weniger privilegierten Familien immer noch seltener?. In: Ordemann, J., Peter, F., Buchholz, S. (eds) Vielfalt von hochschulischen Bildungsverläufen. Higher Education Research and Science Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-39657-2_4