Eine aktuelle Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln analysiert die starken Verflechtungen der deutschen Wirtschaft mit internationalen Zulieferern und Produktionsspartnern. Die Experten zeigen auf, dass die Importe von Vorprodukten einen erheblichen Anteil an den deutschen Gesamteinfuhren haben. Zudem wird deutlich, dass in Schlüsselbranchen wie der Autoindustrie und dem Maschinenbau ein großer Teil der Wertschöpfung aus dem Ausland stammt. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise diskutieren die Autoren Chancen und Risiken der globalen Arbeitsteilung und geben Handlungsempfehlungen.
Importierte Vorleistungen: Anteil mehr als verdoppelt
Laut den Daten der Studie haben sich die Importe von Vorleistungen für die deutsche Wirtschaft seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Der Wert stieg von 228 Milliarden Euro auf über 600 Milliarden Euro im Jahr 2019. Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der Vorleistungsimporte an den gesamten Wareneinfuhren Deutschlands von knapp 54 Prozent auf über 55 Prozent. Diese Zunahme spiegelt die fortschreitende internationale Verflechtung der deutschen Wirtschaft wider. Nach dem Einbruch im Krisenjahr 2009 ging der Anteil zwischenzeitlich etwas zurück, blieb aber auf einem hohen Niveau.
EU-Partner liefern zwei Drittel der Vorprodukte
Die Analyse der Herkunftsländer zeigt, dass fast zwei Drittel der importierten Vorleistungen für deutsche Unternehmen aus anderen EU-Staaten stammen. Allen voran die Niederlande, Belgien, Frankreich, Italien und osteuropäische Länder sind wichtige Lieferanten. Ein Drittel der Vorprodukte wird aus Nicht-EU-Ländern importiert. Die USA liegen hier mit einem Anteil von 5,3 Prozent an erster Stelle, dicht gefolgt von China mit 5 Prozent. Weitere bedeutende Zulieferer sind die Schweiz, Großbritannien und Russland.
Hoher Anteil ausländischer Wertschöpfung
Mithilfe von Wertschöpfungskettenanalysen auf Basis von Input-Output-Rechnungen zeigen die Autoren, dass rund ein Viertel der inländischen Endnachfrage und mehr als ein Fünftel der deutschen Exporte auf importierte Wertschöpfung zurückgehen. Noch deutlicher wird dies bei der detaillierten Betrachtung einzelner Branchen. In der Land- und Forstwirtschaft sind 45 Prozent der erbrachten Wertschöpfung importiert. In der Industrie insgesamt beträgt der Anteil gut 35 Prozent.
Importabhängigkeit in Kernbranchen hoch
Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes ist die Importquote in manchen Kernbranchen der deutschen Wirtschaft besonders hoch. Allen voran die Textilindustrie weist mit 63,4 Prozent einen sehr hohen Anteil an ausländischer Wertschöpfung auf. In der Elektronikbranche sind es 45 Prozent. Aber auch Schlüsselsektoren wie der Automobilbau und der Maschinenbau, die gemeinhin als besondere Stärken der deutschen Wirtschaft gelten, sind in hohem Maße von importierten Vorprodukten abhängig. In der Autoindustrie beträgt der Anteil rund 29 Prozent, im Maschinenbau etwa 28 Prozent.
Bedeutung Chinas wächst weiter
Angesichts dieser ambivalenten Situation stellt sich die Frage nach sinnvollen Regulierungsmaßnahmen. Diskutiert werden etwa die Einführung von Volatilitätsunterbrechern, die Begrenzung der Auftragszahl oder eine Mindesthaltedauer. Wichtig sei laut Experten, die Vorteile von HFT zu erhalten und gezielt die Risiken einzudämmen. Ein pauschales Verbot von HFT wäre kontraproduktiv. Letztlich komme es auf die richtige Balance zwischen Innovationsfreiraum und Risikominimierung an.
Corona-Krise legt Risikoabhängigkeit offen
Die Autoren sehen in der Corona-Pandemie einen Lackmustest für die internationale Verflechtung der deutschen Wirtschaft. Produktionsausfälle in China, Logistikprobleme und Grenzschließungen haben die Anfälligkeit der globalen Lieferketten vor Augen geführt. Strategien wie Just-in-time-Produktion und das Streben nach schlanken Lagerbeständen erhöhen das Risiko von Versorgungsengpässen bei Störungen der Lieferbeziehungen. Es zeigt sich ein Zielkonflikt zwischen Kostenvorteilen und Lieferrisiken.
Unternehmen müssen Nutzen-Kosten-Verhältnis prüfen
Aus Sicht der Studienautoren ist es vorrangig Aufgabe der Unternehmen selbst, die Vor- und Nachteile der internationalen Arbeitsteilung vor dem Hintergrund der Krisenerfahrungen zu überprüfen. In die Kalkulation müssen auch die volkswirtschaftlichen Folgekosten von Produktionsausfällen stärker einfließen. Denkbar sind Strategien wie die Diversifizierung von Lieferanten, um die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern zu senken. Bei kritischen Gütern sind auch begrenzte staatliche Eingriffe vertretbar.
Gefahr durch zusätzliche Handelshemmnisse
Gleichzeitig warnen die Ökonomen davor, die globale Arbeitsteilung leichtfertig aufzugeben. Trotz mancher Schwachstellen habe die internationale Verflechtung erheblich zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand in Deutschland beigetragen. Eine politisch motivierte Restrukturierung der Lieferbeziehungen berge die Gefahr, die Globalisierung teilweise zurückzudrehen. Angesichts bestehender Handelskonflikte gelte es, zusätzliche Hemmnisse für den internationalen Austausch von Gütern und Dienstleistungen zu vermeiden.
Fazit: Chancen und Risiken sorgfältig abwägen
Die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft macht deutlich, dass die deutsche Wirtschaft in hohem Maße von internationalen Lieferbeziehungen abhängig ist. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass dies nicht nur Vorteile, sondern auch Risiken birgt. Die Experten plädieren dafür, die Vor- und Nachteile globaler Wertschöpfungsketten neu zu bewerten, ohne aber die Errungenschaften der internationalen Arbeitsteilung leichtfertig aufzugeben. Unternehmen und Politik müssen Nutzen und Kosten globaler Lieferbeziehungen sorgfältig gegeneinander abwägen.
Literatur:
Kolev, Galina/Obst, Thomas (2020): Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von internationalen Lieferketten, IW-Report, Nr. 16, Köln.