In Deutschland haben soziale Bewegungen und Massenmobilisierung durch Protest im Verlauf der letzten zwanzig Jahre eine signifikante Rolle bei der Umformung und Polarisierung der politischen Parteienlandschaft gespielt. Eine kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchung von Weisskircher, Hutter & Borbáth mit dem Namen „Protest and electoral breakthrough: Challenger party-movement interactions in Germany“ beleuchtet detailliert, wie spezifische Protestaktionen, maßgeblich zur Entstehung und zum Erfolg politischer Parteien beigetragen haben. Die Autoren untersuchten dabei wie die Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-IV-Gesetze und die Demonstrationen der PEGIDA-Bewegung gegen Islam und Einwanderung, die Linke und die AfD stärkten.
Mechanismen der Protestwirkung
Die Studie identifiziert zwei Hauptmechanismen, durch die Proteste die Beziehungen zwischen Bevölkerung und politischen Parteien beeinflussen: die „externe Politisierungsspirale“ und die „innerparteiliche Innovationsspirale“. Die externe Spirale beschreibt, wie Protestbewegungen Verschiebungen in der öffentlichen Meinung und der Medienberichterstattung bewirken. Die Verschiebungen ermöglichen den Parteien , die Anliegen der Demonstranten aufzugreifen und für ihre Ziele zu nutzen. Die innerparteiliche Spirale hingegen bezieht sich auf die Neupositionierung und Radikalisierung innerhalb der Parteien als Reaktion auf die Proteste.
Die Dynamik zwischen Protesten und Parteien
Weisskircher et al. stellten fest, dass trotz der oft nur geringfügigen organisatorischen und personellen Überschneidungen zwischen Protestbewegungen und Parteien es einige Parteien geschickt verstanden haben, die durch die Protestwellen verursachte Verschiebung der öffentlichen Diskurse für ihren Wahlerfolg zu nutzen. Besonders deutlich wurde dies bei den Anti-Hartz-IV-Protesten und der Linken sowie den PEGIDA-Demonstrationen, die zur Radikalisierung und strategischen Neuausrichtung der AfD beitrugen.
Regionale Schwerpunkte und Auswirkungen
Die Studie hebt hervor, dass insbesondere Ostdeutschland ein Zentrum dieser entscheidenden Interaktionen zwischen Parteien und Bewegungen war, was die fortbestehenden Unterschiede und die tiefe Kluft zwischen den Lebenswelten und politischen Präferenzen in Ost- und Westdeutschland unterstreicht.
Bedeutung und Empfehlungen für die Zukunft
Die Untersuchung betont die entscheidende Bedeutung sozialer Bewegungen für die Transformation und Polarisierung innerhalb der Parteienlandschaft. Die Autoren empfehlen eine stärkere Verbindung von organisations- und systemtheoretischen Ansätzen in der Analyse der Beziehungen zwischen Protestbewegungen und Parteien. Zudem wird ein verstärkter Fokus auf die individuelle Teilnahme an Protesten und den Online-Aktivismus als wichtige Faktoren vorgeschlagen. Insgesamt bietet die Studie tiefgreifende Einsichten, wie Massenmobilisierung durch Protest nicht nur Parteien und politische Richtungen, sondern auch die Wettbewerbsdynamik im Parteiensystem verändern kann.
Literatur: