Dr. Uwe Ruß-Obajtek vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg wirft ein Licht auf die dramatischen Veränderungen im Bildungsbereich, die durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufen wurden. In seinem detaillierten Bericht analysiert er die Entwicklungen der Studierendenzahlen und das Studienverhalten an den Hochschulen in Baden-Württemberg seit dem Ausbruch der Pandemie.
Veränderung der Studierendenzahlen und Studiendauer
Die Pandemie hat tiefgreifende Effekte auf die Hochschullandschaft gezeigt. Ein signifikantes Phänomen ist die Verlängerung der Studiendauer, reflektiert durch eine Zunahme von Studierenden in höheren Semestern. Parallel dazu wird ein Rückgang der Absolventenzahlen beobachtet, was auf pandemiebedingte Herausforderungen und Anpassungen im Studienablauf hindeutet.
Rückgang bei ausländischen Studienanfängern
Im ersten Wintersemester der Pandemie 2020/21 verzeichneten die Hochschulen einen deutlichen Rückgang bei den ausländischen Studienanfängerinnen und -anfängern. Dieser Trend kehrte sich im folgenden Wintersemester 2021/22 um, als die Zahlen wieder anstiegen, was auf eine allmähliche Erholung von den anfänglichen Einschränkungen hinweist.
Finanzielle Probleme und Studienabbruchrisiko
Die Studiensituation wurde nicht nur durch den Übergang zu digitalem Lernen erschwert, sondern auch durch finanzielle Schwierigkeiten, die aus dem Verlust von Studentenjobs und der verschlechterten Einkommenssituation der Eltern resultierten. Diese Entwicklungen haben das Risiko eines Studienabbruchs erhöht, insbesondere bei Studierenden aus finanziell schwächer gestellten Familien und bei internationalen Studierenden, die stark auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind.
Besondere Situation deutscher Studienanfänger
Eine besondere Beobachtung ist der verzögerte Rückgang bei den deutschen Studienanfängerinnen und -anfängern, der erst im zweiten Pandemiejahr signifikant wurde. Im Gegensatz dazu nahm die Zahl der internationalen Studienanfängerinnen und -anfänger zu diesem Zeitpunkt bereits wieder zu. Dieser Unterschied könnte auf unterschiedliche Entscheidungsprozesse und Rahmenbedingungen zurückzuführen sein, die deutsche und internationale Studierende erleben.
Faktoren und Hintergründe des Studienwahlverhaltens
Verschiedene Faktoren könnten diesen unterschiedlichen Trend beeinflusst haben, darunter die abnehmenden Abiturientenzahlen in Baden-Württemberg und die langfristigen Auswirkungen eines Schuljahres unter Pandemiebedingungen. Zudem könnte der höhere Bildungsanspruch in Familien mit Migrationshintergrund sowie eine generell stärkere Neigung zum Studium bei Studierenden mit Migrationshintergrund, unabhängig von schulischen Leistungen und sozioökonomischem Hintergrund, eine Rolle spielen.
Ausblick und offene Fragen
Die zukünftige Entwicklung der Studierendenzahlen und des Studienverhaltens bleibt abzuwarten. Insbesondere die Langzeitfolgen der Pandemie auf die Studienabbruchquoten und die Dauer des Studiums werden entscheidende Indikatoren für das Ausmaß der pandemiebedingten Veränderungen im Hochschulsektor sein. Die Frage, wie nachhaltig diese Veränderungen sein werden und welche langfristigen Auswirkungen sie auf die Bildungslandschaft haben, bedarf weiterer Untersuchungen und Analysen.
Literatur:
Ruß-Objatek, Uwe. 2022. Wer studiert noch in Zeiten von Corona? Sinkende Studienanfängerzahlen und steigende Studiendauern
2 Jahre nach Beginn der Pandemie. Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2022. https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/PDF/Beitrag22_09_03.pdf