Die Entstehung politischer Ordnung im Zeitalter der simulativen Souveränität

Thema und Fragestellung des Buches

Das Buch “Simulative Souveränität” von Andrea Kretschmann untersucht die Entstehung und Bildung politischer Ordnungen in modernen Gesellschaften. Dabei nimmt es eine soziologische Perspektive ein, indem es analysiert, wie sich in diesen Gesellschaften Regeln und Normen durch das Zusammenwirken verschiedener Akteure herausbilden.

Im Mittelpunkt steht also die Frage, wie und zwischen welchen Akteuren die Aushandlungsprozesse ablaufen, die letztendlich zu etablierten politischen Institutionen, Gesetzen und Verfahrensweisen führen. Der Fokus liegt auf der Rolle gesellschaftlicher Gruppen, Organisationen und Verbände, nicht allein auf staatlichen Organen.

Die Soziologie fragt danach, wie aus dem Zusammenspiel der Akteure stabile Erwartungen und schließlich dauerhafte Regelsysteme entstehen. Das Buch untersucht diesen Prozess der politischen Ordnungsbildung in modernen Demokratien.

Zentrales Konzept "simulative Souveränität"

Das zentrale theoretische Konzept des Buches ist das der “simulativen Souveränität”. Darunter versteht der Autor, dass politische Ordnungen heute nicht mehr allein vom Staat geschaffen und durchgesetzt werden. Vielmehr entstehen sie in komplexen Aushandlungsprozessen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren.

Wirtschaftsverbände und organisierte Zivilgesellschaft proben gewissermaßen in Simulationen und Planspielen mögliche politische Ordnungen. In diesen Prozessen antizipieren die Beteiligten Konflikte und handeln Kompromisse aus. Am Ende steht ein Verhandlungsergebnis, das als politische Ordnung institutionalisiert wird.

Die Akteure üben also eine Form von “simulativer Souveränität” aus, bei der staatliche Stellen lediglich moderierend und koordinierend agieren. Politische Ordnungsbildung vollzieht sich demnach durch das Probehandeln und die Kompromissfindung zwischen interdependenten Akteuren.

Vorgehen und Methode

Um seine theoretischen Überlegungen zur “simulativen Souveränität” zu überprüfen, nutzt der Autor ein qualitatives Forschungsdesign. Er analysiert anhand von Fallstudien die konkreten Aushandlungsprozesse in verschiedenen Politikfeldern.

Untersucht werden beispielsweise die Renten-, Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik. An diesen Fällen zeigt der Autor auf, welche staatlichen und nicht-staatlichen Akteure beteiligt sind und wie sie mittels Simulationen und Planspielen zu politischen Regelungen gelangen.

Durch die detaillierte Analyse wird deutlich, wie die Akteure ihre Interessen einbringen, wo Konfliktpotenzial besteht und wie schrittweise Kompromisse gefunden werden. Die Fallstudien geben somit einen tiefen Einblick in die komplexen Prozesse der politischen Ordnungsbildung zwischen Verbänden, Parteien, Ministerien etc.

Anhand dieser empirischen Untersuchung arbeitet der Autor die Stärken und Schwächen des Konzepts der “simulativen Souveränität” heraus. Die Fallstudien erlauben es, theoriegeleitet die Rolle der verschiedenen Akteure bei der Herausbildung politischer Institutionen zu analysieren.

Ergebnisse

Die Fallstudien zeigen deutlich, dass der Staat nicht mehr der alleinige Souverän ist, der politische Ordnung setzt. Vielmehr ist diese das Ergebnis von Verhandlungen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren.

Am Beispiel der Rentenreform wird beispielsweise analysiert, wie Reformvorschläge zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Ministerien und Parteien hin und her gespielt werden. Durch diese “Probehandeln” nähern sich die Akteure schrittweise an und entwickeln eine politische Ordnung, die die Interessen aller zumindest teilweise berücksichtigt.

Insgesamt bestätigen die Fallstudien, dass sich politische Ordnungen heute durch solche Aushandlungsprozesse zwischen einer Vielzahl von Akteuren herausbilden. Das Konzept der “simulativen Souveränität” stellt damit einen innovativen theoretischen Ansatz dar, um die Entstehung politischer Institutionen zu erklären. Es integriert die Rolle nicht-staatlicher Akteure viel angemessener als klassische Modelle.

Fazit

Insgesamt leistet das Buch “Simulative Souveränität” einen innovativen und wichtigen Beitrag zur soziologischen Erforschung politischer Ordnungsbildung. Es entwickelt mit dem Konzept der “simulativen Souveränität” eine überzeugende Perspektive, um die Entstehung politischer Institutionen in modernen Demokratien zu erklären.

Im Vergleich zu klassischen soziologischen Ansätzen wie System- oder Akteurstheorie, die der Autor kritisch diskutiert, integriert das Modell der “simulativen Souveränität” die Rolle nicht-staatlicher Akteure viel angemessener. Es betont, dass politische Ordnung heute in einem komplexen Wechselspiel zwischen Verbänden, Unternehmen, Parteien und staatlichen Stellen ausgehandelt wird.

Insgesamt plädiert das Buch überzeugend dafür, politische Ordnungsbildung als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen einer Vielzahl interdependenter Akteure zu betrachten. Das Konzept der “simulativen Souveränität” stellt dabei einen wichtigen Beitrag zur soziologischen Demokratieforschung dar.

Literatur:

Kretschmann, Andrea (2023): Simulative Souveränität. Eine Soziologie politischer Ordnungsbildung, Konstanz: University Press.

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